Es ist wohl unvermeidlich, Vietnam mit dem Krieg (der keiner war) in Verbindung zu bringen. Meine Vorstellung ist irgendwie geprägt durch F.F.Coppolas "Apocalypse Now": Capt. Willard auf der Suche nach dem durchgeknallten Col. Curtz, untermalt durch den psychedelischen Soundtrack von "The Doors".
Nach 3h-Flug setzt der Vietnam-Airlines -Jet auf dem Airport Hanoi auf. Die Passformalitäten sind erstaunlich schnell erledigt und wir streben dem Ausgang zu. Hier die erste Überraschung: die abendliche Temperaturen bewegen sich unterhalb der 18°C-Marke. Nord-Vietnam liegt zwar geografisch unterhalb des 23 Breitengrades (Wendekreis des Krebses) und somit in den Tropen, klimatisch aber eben nicht, denn es gibt hier ausgeprägte Jahreszeiten.
Das Airport-taxi bringt uns zügig in die Innenstadt (ca. 30km, 45min-Fahrt). Irritierend für mich die Tatsache, dass hier (zumindest offiziell) Rechtsverkehr herrscht.
Der reale Sozialismus scheint sich mittlerweile mit dem Kapitalismus arrangiert zu haben. Große namhafte Unternehmen (u.a. Canon) sind mit Produktionsstätten am Wegesrand vertreten. Der US-$ ist übrigens (zusammen mit dem einheimischen "Dong") das gängige Zahlungsmittel.
Ankunft in Hanoi "Old Quarter", dem alten Stadtviertel: In einer Travel-Agency buchen wir noch für den nächsten Tag einen Trip zur Halong-Bay mit Übernachtung auf der "Emeraude", dem wohl luxuriösesten Dampfer der Region.
Dann stürzen Toni u. ich ins Chaos der Nacht. Ich dachte, in Südostasien schon "alles gesehen" zu haben. Diese Stadt aber stellt alles bisherige in den Schatten. Wie beschreibt man Hanoi? Vielleicht als eine Mischung aus exotischem Bangkok und Dreck a'la Jakarta mit DDR-Ambiente? Wie auch immer, der unglaubliche Verkehr und das damit eingehende Gehupe sind unbeschreiblich.
Gehwege meistens nicht zu benutzen (zumindest von Fußgängern), da zugestellt mit Motorrollern, Essensständen,etc. Wir gehen also mit ungutem Gefühl am Straßenrand. LonelyPlanet-Handbuch empfiehlt die Straße im dichtesten Verkehr gaaanz langsam zu überqueren, damit die Motoristen Zeit für "Gegenlenkmaßnahmen" ergreifen können. Toni und ich riskieren es und (LonelyPlanet sei Dank) es funktioniert...und das nicht nur einmal. Man muss sich zwingen, bloß nicht zu schnell zu gehen, auch wenn zig Fahrzeuge hupend, auf einen zufahren.
Müllentsorgung? Kein Problem. Hausmüll wird einfach in Plastiktüten abgepackt durch die Hauseingänge auf die Straße geworfen.
In einer gemütlichen Bar (eigentlich der einzigen, die es gibt) trinken wir ein Paar "Hanoi"-Bier und schauen durch die halboffenen Panoramafenster nach draußen. Ein Porsche-Cayenne kreuzt durch das Chaos. Wer sitzt da wohl drin? Irgendwo verrichtet ein Straßenkehrer seine Arbeit, ein groteskes Bild, ähnlich als würde man mit Besen u. Schaufel den Sand aus der Sahara kehren wollen.
Eine Rikscha bringt uns für 4 US-4 zu unserem Hotel. Am nächsten Morgen fährt uns ein freundlicher Chauffeur (er spricht zwar kein Englisch, ist aber sehr höflich) in 3 h. Fahrt zur Halong-Bay. Die Reise ist eigentlich spannender als das Ziel. Dreck, mobile Massen auf Motorrollern, alte Lkws aus DDR- u. russischer Fabrikation, auf einem steht sogar noch ein Firmenschild "Brennstoffhandel Soundso" auf der Tür). Unser Fahrer ist offensichtlich nicht begeistert, dass wir zum Fotografieren immer wieder die Scheiben des klimatisierten Wagens herunterfahren.
Armut und Dreck gibt es auch anderen Ortes in Südostasien. Sonne, Sand u. Tropenidylle täuschen für das ungeübte Auge über die wahren Lebensumstände hinweg. Hier aber ist es kühl und grau (der eine o. andere Ostalgie-reisende wird sich sicher sehr heimisch fühlen). Im propagierten Sozialismus sind ja alle Menschen gleich, im realen Sozialismus einige aber noch ein bisschen gleicher und so checken wir zur Mittagszeit auf der First-class "Emeraude" ein.
Mittlerweile habe ich mir einen "Vietnamese Army Pith Helmet" (oder auch Vietcong-Helmet) zugelegt um meine politische Gesinnung zu demonstrieren. Die Genossen betrachten mich wohlwollend. Übrigens wird diese Kopfbedeckung immer noch in großen Teilen der Bevölkerung getragen.
Die Halong-Bay selbst ist ja mittlerweile kein Geheimtipp mehr (World Heritage Area) und so trifft man auch mal wieder auf heimatliche (und ostdeutsche) Dialekte. Sicher, die Felsen im Wasser sind beeindruckend, der Müll ist nicht so offensichtlich (wahrscheinlich wird er umweltgerecht versenkt), aber das ist einer jener Orte, die man einmal besucht, um dagewesen zu sein. Somit genieße ich den Luxusdampfer bzw. seine kulinarischen Genüsse und freue mich eigentlich schon wieder auf das Treiben in Hanoi.
Die Rückfahrt nach Hanoi am Sa. Vormittag verläuft unspektakulär, davon abgesehen, dass unser Fahrer einen Hund überrollt und mein Sicherheitsgurt unauffindbar bleibt. Die entgegenkommenden Fahrzeuge (auf unserer Spur) ignoriere ich nicht mal mehr.
Ach ja, eine Begebenheit im Old Quarter erinnert uns daran wo wir wirklich sind. Toni und ich tummeln uns auf dem Markt. Plötzlich suchen die Frauen panikartig das Weite. Ein Polizist fährt mit seinem Motorroller in die Menge, um die Frauen von dem (wahrscheinlich illegalen) Standplatz zu vertreiben. Der gleiche Typ, der einige Minuten später Fahrräder (wahrscheinlich im Parkverbot) umwirft und gleichzeitig wild gestikulierend in seine Pfeife trällert. Es trifft mal wieder die Ärmsten. Ich verspüre den Drang, ihm höflich in die Fresse hauen, aber dann würden auch US-$ meine Probleme nicht mehr lösen ... Nebenbei: wieso tragen die "Offiziellen" in solchen Staaten immer so schlecht sitzende Uniformen? Die Exekution deren Schneider könnte ich ja noch irgendwie nachvollziehen.
Vor unserem Abflug wollten wir Ho Chi Minh oder besser "Uncle Ho" (klingt ähnlich niedlich wie "Väterchen Stalin") einen Besuch in seinem Mausoleum abstatten. Doch der befindet sich (wie jedes Jahr um diese Zeit) zur kosmetischen Nachbehandlung in Russland, obwohl er schon seit 38 Jahren tot ist.
Eine Ratte im Flughafenrestaurant "winkt" uns noch zu und kurze Zeit später entschweben wir wieder in den realen Kapitalismus heim nach Singapore.
Unser Ziel aber ist das Mekong-Delta, die Reiskammer Vietnams (u. des Exporthandels) Unsereins darf froh sein, auf dem "richtigen" Seite des Planeten geboren worden zu sein; die Reisbäuerinnen haben ja eigentlich nix zu lachen, aber sie können's trotz dieses Knochenjobs.
Den Nachmittag gondeln wir auf unserem privaten Boot mit Captain sowie Guide in irgendeinem der unzähligen Mekong-Kanäle von Cai Be nach Can Tho. Ortsnamen sind aber eigentlich wurscht, das Bild ist fast überall das gleiche.
Da die Menschen Ihre Häuser, oder sagen wir mal Behausungen, meist direkt am Wasser errichtet haben, bleibt einem zwangsläufig der Blick ins "Private" nicht verborgen. Die Sch… läuft ungefiltert ins Wasser, nebenan waschen sich die Leute im Fluss (natürlich mit Shampoo). Welchen Ursprung unser, wirklich gut schmeckender, Kaffeewasser hat, wollen wir gar dann auch gar nicht so genau wissen.
Die Speiseauswahl des abendlichen Dinners war rel. simpel: "Mouse roasted in Jar"...oder doch lieber "Field Mouse"?
Die Floating Markets gehören sicher zu den Höhepunkten eines Delta-Besuchs. Im Gegensatz zu den thailändischen "Touristenmärkten" geht' hier wirklich noch authentisch zu. Wieder festen Boden unter den Füßen, sind die trockenen Märkte nicht weniger interessant (was hängt da eigentlich an diesem Schwanz?).
Anfängliche Pläne, diese Tour in ähnlicher Form mit unseren Familien zu wiederholen, wurden während der Autofahrt nach Saigon jedoch schnell wieder verworfen. Selbst unser "Berliner Schandmaul", sonst nie eines Kommentars zur allgemeinen Lage müde, packte das Entsetzen ob des Straßenverkehrs und vergrub sich auf den Rücksitzen (da kein Sand für den Kopf da war...). Der Markus gab dem Fahrer intuitive Ratschläge um den kontinuierlich drohenden Frontalunfällen zu entkommen. Die entgegenkommenden Motorradfahrer haben unsere Stärke aber erkannt und räumen schon freiwillig die Straße bei voller Fahrt. Anyway, wir haben mal wieder überlebt.
Eine Nacht in Saigon ist recht kurzweilig, zu früher Stunde wurde allerdings ein Rikscha mit schlafendem Fahrer von Unbekannten entführt.
Keine (Süd-) Vietnam-reise ohne Besichtigung der "Cu Chi Tunnel". Diese dienten den Vietcong als "Überlebensraum" unter der Erde, um sich dem Flächenbombardements der Amerikaner zu entziehen. Die Tunnel führten sogar bis unter die amerikanischen Stellungen. Markus u. Dirk fühlten sich hier als Ex-NVA-Soldaten natürlich gleich unter Waffenbrüdern.
Man muss kein Vietcong Sympathisant sein, um einen gewissen Respekt gegenüber dem Überlebenswillen von "Charly" zu empfinden. Die vietnamesische Sichtweise der Dinge ist vermutlich nicht mehr "gefärbt" als die amerikanische. Stolz erklärt unser einheimischer Guide die Funktionsweise der verschiedensten perfiden Todesfallen ("booby traps"), ein amerikanischer Alptraum, eben "Apocalypse Now".
© Steffen Gross, 2015